Landwirte sind mehr als nur Landschaftsmaler
Ohne Baugenehmigungen können Landwirte nicht die Wünsche der Gesellschaft erfüllen, sagte Vorsitzender Tobias Göckeritz.
„Wir werden in der Landwirtschaft einen Strukturbruch erleben“, war sich Christoph Klomburg gewiss. Der Vorsitzende des Landvolk Mittelweser lieferte den Gästen aus Politik und Wirtschaft sowie den Ortsvertrauensleuten auf der Kreisverbandsversammlung im Gasthaus Zur Post in Neubruchhausen seine persönliche Einschätzung der aktuellen Lage in der Landwirtschaft. Und die gestaltet sich alles andere als rosig: Ob Tierwohl, Baurecht, Wiedervernässung der Moore oder das Verhältnis des Lebensmitteleinzelhandels zu den heimischen Erzeugern – die Themen sind vielfältig. „Es gibt verschiedene Wünsche, die an uns Landwirte herangetragen werden, aber diese Wünsche kommen auch in Form von Gesetzen und Verordnungen zu uns“, sagte Klomburg und beklagte den exponentiellen Anstieg von Bürokratie, dem sich die Landwirtinnen und Landwirte ausgesetzt sehen.
Rede von Christoph Klomburg: https://vimeo.com/647767895/1c7b74852e
Vortrag von Olaf Miermeister: https://vimeo.com/647767957/9f6857cabc
Rede von Tobias Göckeritz: https://vimeo.com/647768473/2e451fca7a
Schlusswort von Lüder Wessel: https://vimeo.com/647769086/2680bcf00a
Als positiv wertete er den „Niedersächsischen Weg“, der gemeinsam mit Ministerien, Landvolk und Naturschutzverbänden erarbeitet worden ist und alle Interessen untereinander abwägt und in einem gemeinsamen Papier vereint. „Der ‚Niedersächsische Weg‘ gilt als Paradebeispiel dafür, wie man es eigentlich machen muss“, konstatierte Christoph Klomburg. Doch auch diese Vereinbarung müsse zunehmend verteidigt werden, weil Bundesrecht oder Europarecht drohten, manches zunichte zu machen. Dabei sei Landwirtschaft ein Kompromiss zwischen vielen Dingen. „Wenn wir in Zukunft nur noch Landschaftsmaler sein sollen, müssen wir das wissen. Wertvoll ist deren Arbeit aber auch meist erst nach ihrem Tod geworden! “, erklärte Klomburg bissig.
Auf eine grundsätzliche Ebene hob Tobias Göckeritz, ebenfalls Vorsitzender des Landvolk Mittelweser, seine Rede mit den Grundbedürfnisse „warm, trocken und satt“. Die Landwirtschaft in Deutschland habe immer weniger Nutzfläche zur Verfügung. „Allein im Jahr 2019 haben wir 34.500 Hektar verloren“, sagte Göckeritz und zog einen Vergleich: „Das ist knapp die Hälfte der landwirtschaftlichen Nutzfläche im Landkreis Nienburg. Auf den verbliebenen Flächen soll immer weiter extensiviert werden.“ Das hat Folgen: „So haben wir weniger Möglichkeiten, Nahrungsmittel zu ernten.“ Das wiederum führe nicht nur zu höheren Preisen, sondern mittelfristig auch zu mehr Hunger und in der Folge zu Migration in der Welt. Zwei Drittel der landwirtschaftlichen Nutzflächen der Erde wiederum seien Grünland – und dieses Land könne man nur durch Wiederkäuer nutzbar machen, die das Eiweiß im Gras verwerten und so für den Menschen genießbar machen können. Seit dem 17. November, dem Selbstversorgungsüberschreitungstag, lebt Deutschland rechnerisch nur noch von Lebensmitteln aus dem Ausland.
Tobias Göckeritz sprach auch die derzeit stark steigenden Kosten besonders im Energiebereich an. „Die schlagen voll auf unsere Betriebe durch“, sagte der Schweinehalter. Während eine Kilowattstunde Strom hierzulande 31 Cent koste, seien es in den Niederlanden 20 und in Polen sogar nur 13 Cent. „Das hat massive Auswirkungen, denn wir befinden uns in einem gemeinsamen europäischen Markt“, so Tobias Göckeritz. Könne der Landwirt in Nachbarländern günstiger als in Deutschland produzieren, „führt das zur Abwanderung der Produktion ins Ausland.“ Hinzu kommen die gestiegenen Kosten für Diesel und auch für Gas. Gerade die Gaskosten haben sich innerhalb eines Jahres mehr als verdoppelt. Gas wird beispielsweise benötig, um Stickstoffdünger zu gewinnen: Die Stickstoff-Produktion der großen Hersteller wurde aktuell um 40 Prozent reduziert, da den Firmen die Energie zu teuer geworden ist.. „Dünger wird extrem knapp und teurer, aktuell über 300 Prozent.“ Dabei sei man angesichts der guten klimatischen Bedingungen in Niedersachsen im „gelobten Land“. Aber die zahlreichen kostentreibenden Vorgaben machten ein Wirtschaften hier in und mit der Natur sowie insbesondere die Haltung von Nutztieren, dem wichtigsten Standbein der Bauernfamilien in der Mittelweserregion, immer schwieriger. „Wir brauchen Baugenehmigungen. Ohne Baugenehmigungen können wir nicht ansatzweise die Wünsche der Gesellschaft erfüllen“, sagte er im Hinblick auf geplante, noch stärker tierwohlorientiertere Ställe. Tobias Göckeritz appellierte besonders an die Politik, aber auch an alle anderen Anwesenden: „Vergessen Sie die Fundamentalerfordernisse des Lebens nichts. Denn ich sehe sie für unser Land in Gefahr. Wir brauchen kein Klopapierdesaster bei Lebensmitteln.“
An seine Berufskolleginnen und -kollegen gerichtet, erklärte der Vorsitzende: „Wir sind als erstes unseren Familien verpflichtet.“ Das bedeute auch, die Reißleine zu ziehen, wenn die Betriebe auf Dauer aufgrund der sich immer weiter öffnenden Preis-/Kosten-Schere mittelfristig nicht mehr wirtschaftlich arbeiten könnten.
Christoph Klomburg stellte die rhetorische Frage in die Runde: „Welchen Auftrag soll die deutsche Landwirtschaft in Zukunft haben?“ Auf die Antworten aus der Politik sind die Landwirtinnen und Landwirte gespannt: „Wir Bauern warten ab, mit welchen Gedanken die Politiker aus ihren Koalitionsverhandlungen kommen werden.“